Gerald Bisinger, Lyriker und Übersetzer, geb. am 8. 6. 1936 in Wien, gest. am 20. 2. 1999 ebenda. Bisinger studierte zunächst Romanistik und Psychologie an der Universität Wien, war von 1962 bis 1970 Lyrik-Redakteur der Zeitschrift "Neue Wege" und übersiedelte 1964 nach West-Berlin. Dort arbeitete er als freier Mitarbeiter, später als Redakteur am Literarischen Colloquium Berlin. 1986 kehrte er nach Wien zurück, wo er bis zu seinem Tod redaktioneller Mitarbeiter und Lektor für Radioliteratur beim ORF war.
Der Name Bisingers fällt zumeist in seiner Funktion als Vermittler und Weggefährte österreichischer Autorinnen und Autoren. Über seine Tätigkeit als Lyrik-Redakteur der "Neuen Wege" befand er sich in regem Kontakt mit der österreichischen literarischen Szene der 1960er Jahre. Hervorzuheben sind seine Bekanntschaften mit Friederike Mayröcker und H.C. Artmann, dessen verstreutes lyrisches Oeuvre er als Herausgeber zugänglich machte sowie ins Italienische übersetzte. Auch in West-Berlin trat er weiterhin vermittelnd für die österreichische Literatur ein. Sein beständiger Einsatz für Literatur zeigte sich darüber hinaus in seiner Funktion als Mitbegründer der Grazer Autoren Versammlung (GAV) sowie als Mitglied diverser Redaktionskomitees. Weiters betätigte er sich als Übersetzer aus dem Italienischen (Gianni Balestrini, Umberto Eco, Eduardo Sanguineti).
1963 erschien Bisingers erster Band mit lyrisch überformter Kürzestprosa, Zikaden und Genever. Die Übersiedelung nach Berlin erwies sich auch als literarischer Einschnitt. In 7 Gedichte zum Vorlesen (1968) gewann er die für ihn dominant-prägnante Form des antikisierenden Langgedichts. Er wandte sich zusehends Alltäglichkeiten zu, die einem durch die Strenge der Form kanalisierten Assoziationsfluss ausgesetzt wurden. Dieses Verfahren erweiterte Bisinger in seinen Werken (Poema ex Ponto I-III (1972-1982) und den Veröffentlichungen im Gefolge seiner Rückkehr nach Wien (1986) zur für ihn typischen poetologischen Formel: "Hier sitze ich und schreibe". Am Ende seiner Texte, die in späteren Jahren verstärkt um Alter und Tod kreisten (Ein alter Dichter, 1998), stand die anscheinend banale, aber auf hochartifizielle Weise gewonnene Einsicht: "Ich bin noch hier, ich erinnere mich noch an mich."
Bisinger erhielt, neben anderen Preise, u. a. den Theodor Körner Preis der Stadt Wien (1964), den Theodor Körner Förderpreis (1990), den Würdigungspreis für Literatur des Bundeskanzleramtes (1998) und den Österreichischen Würdigungspreis für Literatur (1999).